Liebe, das bedeutet Freiheit und Wachstum, anstatt Inbesitznahme und Einschränkungen. (Gedankenwelt)
Die Bedeutung dieses Zitats können emotional abhängige Menschen nicht umsetzen. Sie sind auf eine Person übertrieben angewiesen, machen ihr Lebensglück von ihr abhängig und geben ihre Bedürfnisse und Wünsche völlig auf. Durch diese Selbstaufgabe sind sie gefangen, unzufrieden und leben in der Angst ihren Partner zu verlieren.
In dem Beispiel von Monika wurden die ungesunden und beeinträchtigten Folgen deutlich.
In dem folgenden Fall erkläre ich weitere Verhaltensweisen, die eine emotionale Abhängigkeit verdeutlichen.
Zuerst möchte ich erwähnen, dass wir einen gewissen Grad von Abhängigkeit schon erlebt haben. In Freundschaften, Paarbeziehungen, beim Sport, bei Kollegen oder bei unserem Chef.
Solange wir auf diese Beziehungen nicht angewiesen sind und unser Wohlbefinden nicht davon abhängt, bleibt diese Abhängigkeit in einem gesunden Rahmen. Oder wir erkannten, dass uns die Beziehung geschadet hat, und konnten uns daraus befreien. Doch das gelingt nicht jedem und die Abhängigkeit kann in das Krankhafte hinübergleiten. Oft ist es ein schleichender Prozess und der Betroffene ist sich dessen nicht bewusst.
In diesem Beispiel geht es um Sabrina. Ihre Eltern waren beruflich erfolgreich und viel auf Geschäftsreisen. Zu ihrer Nanny bestand kein herzliches Verhältnis, sie fanden emotional nicht zueinander. Sabrina fühlte sich meist allein, in ihrer Not nicht gesehen und vermisste ihre Eltern. Sie sehnte sich nach Gemeinsamkeit, Geborgenheit und Liebe.
In der ersten Klasse Grundschule fanden weitere einschneidende Enttäuschungen und seelische Verletzungen statt. Ihre Freundinnen vom Kindergarten saßen gleich am ersten Schultag zusammen an einem Tisch zu viert. Da war für sie kein Platz mehr, obwohl es ausgemacht war, dass Sabrina neben ihrer besten Freundin Julia sitzen sollte. Sabrina wurde dann von der Lehrerin neben Hannes gesetzt, der so komisch roch und dauernd rülpste.
In der Pause stand Sabrina meistens abseits, da sie die anderen Mädchen kaum beachteten. Sie wurde traurig, fühlte sich ausgegrenzt, nicht liebenswert und verstand nicht, warum sich ihre Kindergartenfreunde so gemein verhielten.
Im Sport wurden immer die anderen zuerst in eine Gruppe gewählt, sie blieb meist übrig. Sabrina war eben nicht so geschickt und so schnell. Außerdem kicherten die anderen so blöd in dem Umkleideraum und zwei Jungs sagten Moppelchen zu ihr.
Und wieder waren ihre Eltern nicht da, die sie mit verständnisvollen Gesprächen unterstützen, ihr zuhörten und an ihrem Alltag teilnahmen. So behielt sie ihren Kummer und ihre Gedanken für sich.
Die Glaubenssätze: „Ich fühle mich alleingelassen, ich bin nicht wichtig, ich bin nicht gut genug, niemand hört mir zu, keiner interessiert sich für mich, ich bin zu ungeschickt, alle lassen mich im Stich, keiner versteht mich“, begannen sich in ihr zu manifestieren.
In ihrer Ausbildung bemühte sie sich, zu den Besten zu gehören. Sie entwickelte einen Perfektionismus und demonstrierte erstklassige Präsentationen. Doch tat sie dies nicht aus Leidenschaft und mit Interesse, sondern aus der unterschwelligen Angst heraus, wieder abgelehnt zu werden und zu versagen.
Endlich wollte sie dazugehören, Anerkennung und Wertschätzung erfahren und mit ihrer Leistung gesehen werden. Sabrina war bemüht alles richtig zu machen, da sie das Gefühl der Scham auf jeden Fall verhindern wollte. Denn Fehler und Versagen lösten in ihr das Gefühl ihrer Unzulänglichkeit aus, welche sie immer wieder versuchte zu verdrängen.
Nach ihrer Ausbildung zog sie mit ihrer Freundin Nina zusammen. Endlich eine feste Freundin und ihre erste eigene Wohnung. Was für ein Glücksgefühl.
Anfangs lief alles super. Sabrina bemühte sich, aufgrund ihrer Verlustangst, Nina an sich zu binden und ihr zu gefallen. Sie übernahm viele Aufgaben im Haushalt und überraschte ihre Freundin mit kleinen Geschenken. Ihre Konzentration auf das gute Gelingen lenkten sie ab, um ihre Gefühle wie Trauer, Verlustangst, Hilflosigkeit nicht spüren zu müssen.
Nach einigen Wochen bemängelte Sabrina, dass sich ihre Freundin zu wenig um sie kümmere. Sie fühlte sich vernachlässigt und im Stich gelassen. Sabrina erwartete, dass Nina sie mehr in ihre Freizeitaktivitäten einbindet. Sie verhielt sich fordernd, unzufrieden und klammerte sich an ihrer Freundin.
Sabrina entwickelte eine extreme Eifersucht, wenn Nina mit ihren Mädels etwas unternahm. Es folgten permanente Kontrollanrufe mit den Fragen: „Wo bist du, wann kommst du heim, mit wem bist du unterwegs, warum rufst du nicht an? Wenn du dich nicht um mich kümmerst, wie soll es mir da gut gehen?“
Es fiel ihr zusehends schwerer, allein zu sein.
In solchen Situationen wurden Sabrinas abgespeicherten Verletzungen aktiv. Dies geschah unbewusst und sie fiel in ihre alten und kindlichen Muster zurück.
Sie fühlte sich genauso einsam und ohnmächtig wie damals als Mama und Papa unterwegs waren. Das innere kleine Kind von der inzwischen erwachsenen Sabrina sehnte sich nach Anerkennung und Liebe. Sie erwartete von Nina, dass ihre unerfüllten Sehnsüchte aufgefüllt wurden. Sabrina wartete immer noch auf Nähe, Geborgenheit, Wärme, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verbundenheit, die sie in ihrer Kindheit nicht erfuhr.
Sabrina gab ihre Verantwortung, für die sie ausschließlich selbst zuständig war, an Nina ab. Sabrinas Wahrnehmung war nur auf das außen gerichtet, wie ein kleines Kind, das auf Mama und Papa wartet, um endlich in den Arm genommen und getröstet zu werden.
Es ist keinem Partner möglich, die emotionalen Wunden seines gegenüber zu heilen. Sabrina wartete nur auf die Bestätigung von außen und alles was sie ausschließlich von außen erwartet, macht abhängig.
Daraus wird ersichtlich, wie gravierend unsere Kindheitsprägungen sind, die wir in unser Erwachsenenleben mitnehmen. Diese Prägungen bestimmen unsere Erwartungen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken und legen fest, wie wir auf eine Situation reagieren.
In dem Beispiel von Nina, die mit ihren Mädels alleine ausgeht, werden die abgespeicherten Glaubenssätze in Sabrina wieder wachgerufen: „Ich bin nicht wichtig, ich bin es nicht wert, keiner mag mich, ich bin unterlegen.“ Alles kam wieder hoch, es fühlte sich wie eine seelische Verletzung an.
Wären Sabrina ihre unbewussten Kindheitsprogramme bewusst, würde sie ihr Verhalten besser verstehen, sich selbst mitfühlender und dadurch liebevoller annehmen.
Ich höre bei meinen Klienten häufig die Sätze: „ich weiß, dass ich nicht richtig handle, doch kann ich nicht anders. Dann mag ich mich nicht, manchmal verachte ich mich sogar.“
Diese Widersprüchlichkeit in ihrem Verhalten löst bei den Betroffenen Mutlosigkeit, Ohnmacht und Traurigkeit aus, die auch zu Depressionen führen kann.
Hier ist eine professionelle Unterstützung erforderlich, damit die Menschen wieder ein unabhängiges Leben führen und dabei Freude, Lebensmut und Zuversicht erfahren. Diese positive Veränderung ist durchaus möglich.
Denn die Neurowissenschaft hat ihre jahrzehntelange Meinung revidiert, dass unsere Gehirnentwicklung in der frühen Kindheit abgeschlossen sei.
Heute ist sich die Hirnforschung einig, dass sich auch bei Erwachsenen das Gehirn in seiner physischen Struktur und bei der Verknüpfung seiner Nervenzellen verändert.
Diesen Vorgang können wir mit unserem Bewusstsein aktiv mitgestalten, indem wir unserem Gehirn neue Erfahrungen anbieten. Veränderte Gedanken, Einstellungen und Überzeugungen verändern die Gehirnschaltkreise und es entsteht eine positive Ausrichtung mit einem neuen Verhalten.
Wie uns das gelingt werde ich in Teil 4 beschreiben und mit praktischen Übungen ergänzen.
Im nächsten Artikel (Teil 3) beschreibe ich zusammenfassend den Zusammenhang und die Dynamik des Verhaltens emotional abhängiger Menschen. Es wird deutlich, dass vieles, was wir heute zu bewältigen und zu lösen haben, in unserer Kindheit angelegt wurde.