Monika freut sich auf das kommende lange Wochenende mit ihrem Freund. Endlich mal drei Tage mit ihm alleine. Es ist schon lange her, dass dies möglich war. Das Hotel ist gebucht, die Wanderroute geplant und Monikas Vorfreude wächst. Sie fühlt sich in ihre Jugend zurückversetzt. Je näher der Freitag rückt, desto aufgeregter wird sie. Monika malt sich die bevorstehenden Tage in den tollsten Bildern aus.
Es ist Freitagmittag, ihr Koffer ist gepackt und sie ist startklar.
Kurz vor der vereinbarten Uhrzeit klingelt das Telefon und ihr Partner Thomas sagt das geplante Wochenende ab. Er hat das auswärtige Fußballspiel am Samstag völlig vergessen. Absagen kann er dies nicht, da er seinen Kumpels versprochen hat, mit ihnen gemeinsam dort hinzufahren.
Zuerst spürt Monika einen kräftigen Stich in ihrem Herzen und Magen. Sie hätte am liebsten losgeheult und der dicke Kloss im Hals nimmt ihr fast die Luft zum Atmen.
Die riesengroße Enttäuschung dehnt sich in ihrem Körper aus. Ihre Knie sind weich und ihr ist kotzübel.
Nach ein paar Sekunden hat sie sich wieder im Griff und reagiert sehr verständnisvoll. Sie wünscht ihm sogar ein unbeschwertes und lustiges Wochenende mit seinen Freunden.
Innerlich fühlt Monika sich abgelehnt, nicht geliebt, nicht wertvoll genug und an den Rand gestellt. Sie hat das Gefühl, dass sie Thomas viel mehr liebt als er sie. Und schwups – da schießt das bekannte Gefühl der Angst hoch, von Thomas verlassen zu werden. Obwohl sie sich doch so anstrengt.
Da sie sich ihr Leben ohne ihren Freund jedoch nicht vorstellen kann, gibt sie nach und schluckt jede Menge Frust herunter. Ihre tatsächlichen Gefühle wagt sie nach Aussen nicht zu zeigen. Ohne diese Beziehung fühlt sich ihr Leben sinnlos an, denn sie macht ihr ganzes Lebensglück nur von ihrem Partner abhängig.
Also zieht sie sich still zurück, fühlt sich traurig, ohnmächtig und müde. Sie hat keinen Plan, wie sie ihr Wochenende positiv ausfüllen kann. Ihre Hobbies hat sie schon lange aufgegeben, zu ihren früheren Freunden besteht kein Kontakt mehr.
Monika fokussiert sich ausschließlich auf ihre Partnerschaft und schließt sich den Wünschen und Aktivitäten ihres Freundes ganz selbstverständlich an. Ein Gefühl dafür, ob ihr seine Hobbies auch Spaß machen, hat sie verloren. Ihre eigenen Bedürfnisse nimmt sie nicht mehr wahr.
Hauptsache, sie ist mit Thomas zusammen.
Pflichtveranstaltungen, die sie nicht gemeinsam besuchen können, sind für Monika kaum auszuhalten. Auf der Geburtstagsfeier ihrer Kollegin fühlt sie sich ohne Thomas sehr unglücklich und verloren. Ohne ihn ist alles sinnlos.
Ist er mal schlecht drauf, sucht Monika die Ursache sofort bei sich. Sie konzentriert sich darauf, alles richtig zu machen und nichts zu übersehen. Ihr einziges Ziel ist, in dieser Beziehung zu bleiben.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass Monika in übertriebener Weise von ihrem Freund emotional abhängig ist. Sie hat das Gefühl, ohne ihn nicht überlebensfähig zu sein.
Aus Angst vor Verlust, Abweisung und Ausgrenzung verlor sie ihre Eigenständigkeit, Authentizität und die Verbindung zu sich selbst.
Dadurch war es ihr nicht mehr möglich ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen. Diese wurden durch Überschreitung ihrer Grenzen, allzu große Hilfsbereitschaft und Anpassung ersetzt. Monika verbog sich, arbeitete gegen sich, um Thomas zu gefallen.
Glaubenssätze wie zum Beispiel: „Ich bin es nicht wert, der andere ist wichtiger, ich darf nicht egoistisch sein, ich kann das nicht allein, ich bin schuld, ich bin nicht richtig, nicht liebenswert, ich bin nicht so gut wie die anderen, ich bin nicht klug genug“, drängen sich ihr immer wieder auf.
Diese Lebensweise ist sehr anstrengend und führt häufig zu Überforderung, Schlafstörungen und somatischen (körperlichen) Beschwerden.
Wie kam es zu diesem Verhalten?
Monikas Mutter war alleinerziehend und chronisch überlastet. Sie litt an Depressionen und ihr Konsum an Alkohol war nicht unerheblich.
Sie war so beansprucht, dass sie ihrer Tochter emotional nicht zur Verfügung stand. Der Mutter fehlte es an innerer Stabilität, Verantwortungsbewusstsein und klarer Wahrnehmung. Sie konnte die Signale ihrer Tochter nicht angemessen wahrnehmen.
Die häusliche Atmosphäre war von Spannungen, Unsicherheit, Angst, Konflikten und Instabilität geprägt.
Monika erlebte Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ausgeliefertsein.
Ein Kind kann nicht verstehen, warum sich der Erwachsene so verhält. Warum es nicht getröstet wird, wenn es weint oder Angst hat. Warum es nichts zu essen bekommt, wenn es Hunger hat. Warum die Mutter den suchenden Blickkontakt nicht erwidert und sich abwendet. Warum die Bedürfnisse nicht zuverlässig genährt werden oder eine Person plötzlich nicht mehr da ist.
Kinder sind naturgemäß auf emotionale und körperliche Nähe und auf das nährende Verhalten ihrer Bezugspersonen angewiesen.
Sie reagieren sehr empfänglich auf ihr Verhalten, auf ihr Feedback und ihre Botschaften. Reagiert eine Mutter mit Aufmerksamkeit, Feinfühligkeit, Empathie und innerer Stabilität auf die Bedürfnisse ihres Kindes, entwickelt es ein sicheres Bindungsverhalten. Das Kind erfährt Geborgenheit, Zuverlässigkeit, (Ur)Vertrauen, Verbundenheit und Sicherheit.
Daraus beginnt sich das Selbstwertgefühl, das Selbstbild, die Selbstakzeptanz, die Identität und Persönlichkeit zu formen und zu entwickeln.
Es entsteht die psychische Widerstandskraft (Resilienz) und diesen Menschen fällt es leichter emotionale Belastungen im Alltag zu bewältigen. Resilienz ist eine Art seelisches Immunsystem.
Monika konnte kein sicheres Bindungsverhalten zu ihrer Mutter aufbauen. Und diese Erfahrung spiegelt sich in ihrer Paarbeziehung mit Thomas wider.
Sie erfuhr als Kind Angst, Unsicherheit, Stress und Ohnmacht. Sie hatte nie erfahren, wie es sich anfühlt, sich auf ihre Mutter zu verlassen und ihr zu vertrauen.
Da sie auf ihre Mutter angewiesen war und den Kontakt zu ihr nicht verlieren wollte, entwickelte ihre kindliche Psyche eine Lösungsstrategie, um diese schwierige Situation auszuhalten und durchzustehen.
Die beste Lösung für Monika bestand darin, sich mit ihrer gesamten Aufmerksamkeit auf ihre Mutter zu konzentrieren. Sie entwickelte eine ausgeprägte Feinfühligkeit dafür, wie sie ihre Bezugsperson am besten erreichen konnte. Ihre ganze Konzentration lag im Außen. Monika spürte die Stimmung ihrer Mutter, ihre Verfassung, wann sie zugänglich war und ob sie dann eventuell die Bedürfnisse ihrer Tochter wahrnehmen konnte. Monika lernte, wie sie sich in unterschiedlichen Situationen am besten verhielt. Ihre empathischen Antennen waren stets ausgefahren, um bestmöglich auf ihre Mutter einzugehen und um etwas an Hinwendung von ihr zu erhalten.
Wenn sich Monika so verhielt, hatte sie ein Gefühl von wachsender Sicherheit.
Daraus entwickelte sich der Glaubenssatz:“ Nur wenn ich mit meiner ganzen Aufmerksamkeit und all meiner Energie bei meiner Mutter bin, nimmt sie mich wahr und dann bekomme ich vielleicht das was ich brauche. Diese Überzeugung manifestierte sich tief in ihrem Inneren.
Diese abgespeicherten negativen Erfahrungen und Glaubenssätze wirken weiter und halten unsere Muster aufrecht.
Jetzt ist Monikas Verhalten in ihrer Beziehung mit Thomas besser zu verstehen. Sie trägt die feste Überzeugung in sich: “Nur wenn ich mich ganz und gar auf meinen Partner konzentriere, verlässt er mich nicht. Dadurch empfinde ich Sicherheit und erfahre Glück.“
Im nächsten Artikel zeige ich noch weitere Beispiele auf, wie sich emotionale Abhängigkeit bzw. abhängige Tendenzen im Alltag äußert.
(Hier zu Teil 2)